Wie die Stiftung arbeitet

Es gibt ja in der Welt leider viel mehr autoritär, gar diktatorisch regierte Staaten als freie, meinungsoffene Demokratien. Aber in allen unfreien Ländern – gerade in diesen! – gibt es Menschen, die es unter allen Umständen wagen, für Menschenrechte, Meinungsfreiheit und Rechtsstaatlichkeit einzutreten, auch öffentlich. Das bedeutet immer Gefahr, Einschüchterung und Bedrohung, häufig Folter, Gefängnis, Mithaftung der Familie. Einigen von ihnen bietet die Hamburger Stiftung für ein Jahr einen „sicheren Hafen“. Das ist für sie lebens-, häufig überlebenswichtig. Hier in der Stadt werden sie auskömmlich versorgt, in angenehmer Umgebung, in den „eigenen vier Wänden“ untergebracht. Hier können Sie ungestört arbeiten: lesen und schreiben, journalistische Artikel und Bücher verfassen, malen und fotografieren. Oft kommen sie mit Familie, Lebenspartnern, Kindern, die hier in die Schule gehen. Sie tauchen ganz in unsere Gesellschaft ein.

Die Stipendiaten kommen aus sehr vielen Herkunftsländern: Algerien, Tunesien, Nigeria, Burundi, Kamerun, Irak, Iran, Afghanistan, Bangladesch, Tadschikistan, Kirgistan, Mexiko, Kolumbien usw. Leider kann die Stiftung nicht so umfassend helfen, wie sie es möchte und wie es notwendig ist. Die Zahl der Bewerber übersteigt immer die Zahl der verfügbaren Stipendien um ein Vielfaches. Vorschläge erreichen die Stiftung aus vielen Knoten eines in über 25 Jahren Arbeit immer dichter geknüpften Netzwerkes. Vorschläge kommen von der Organisation für Sicherheit und Zusammenarbeit in Europa (OSZE), dem PEN-Zentrum, Amnesty International, deutschen und auch ausländischen diplomatischen Vertretungen, den Organisationen „Reporter ohne Grenzen“, „Journalisten helfen Journalisten“, der Stiftung der Hamburger Presse, den Auslandsvertretungen der großen politischen Stiftungen (Konrad-Adenauer-Stiftung, Friedrich-Ebert-Stiftung, Friedrich-Naumann-Stiftung usw.) und vielen anderen mehr. Gelegentlich sind es frühere Stipendiaten, die mit viel Landeskenntnis ebenfalls bedrohte Menschen für die Förderung benennen.

Es ist gelegentlich ein Puzzlespiel, für jeden Bewerber, für jede Bewerberin die persönlichen Informationen zusammenzustellen. Aus dem Land, in dem sie leben, sind Unterlagen und Daten vielfach nicht „im Klartext“ zu erhalten. Die dortigen Behörden darf man nicht „aufschrecken“. Vielfach reicht das Verfügbare nicht aus, um wirklich Klarheit über Gefährdungen, Bedrohungen, die Verfolgungslage zu erlangen. Das ist aber notwendig, denn die begrenzte Stipendienlage erzwingt es, Prioritäten zu setzen. Wer am Abgrund steht, in akuter Lebensgefahr ist, dem muss zuerst geholfen werden! Es sind Nachfragen und Recherchen notwendig: beim Auswärtigen Amt, unseren Botschaften, den genannten Institutionen mit ihrer Kenntnis von Land und Leuten, oft unter Bemühung persönlicher Kontakte der Vorstandsmitglieder der Stiftung. Besonders wichtig ist es zu erkunden, ob der Bewerber sein Land gefahrlos verlassen und – vor allem – nach Auslaufen des Stipendiums – dorthin zurückkehren kann. Die Stiftung kann und will niemand faktisch den Gang ins Exil ermöglichen oder erleichtern. Zur eingehenden Prüfung der Bewerbung gehört auch die Frage, ob die – gelegentlich – zurückbleibende Familie während der Abwesenheit des Stipendiaten gefährdet ist. Schließlich werden die vorliegenden Bewerbungen in einer ausführlichen Beratung geprüft, es wird eine Auswahlentscheidung getroffen. Im Laufe des Jahres notwendige Eilentscheidungen werden in Umlaufverfahren oder auch telefonisch vorgenommen. Solche Fälle gibt es immer wieder: Ein Stipendiat muss seinen Aufenthalt verkürzen, aus wichtigem Grund zwischendurch in sein Land zurück, die Familie kommt mit mehr oder weniger Mitgliedern, als erwartet usw.

Die Gäste werden von der Geschäftsführerin der Stiftung persönlich am Flughafen empfangen. Sie bringt sie in ihr neues Zuhause und ist in der schwierigen Anfangszeit erste Ansprechpartnerin. Sprachkurse werden ausgewählt, Einladungen zu privaten Gastgebern organisiert, Arbeitsmöglichkeiten erprobt. Die gewachsenen Verbindungen mit politischen, künstlerischen und journalistischen Organisationen und Verlagen unterstützen die Stiftungsgäste in ihrem Anliegen, eine breite Öffentlichkeit über ihre politische Arbeit zu informieren. So werden die mexikanische Stipendiatin Ana Lilia Pérez und der Bürgermeister Leoluca Orlando aus Palermo/Italien in der Podiumsdiskussion „Im Kampf gegen die Mafia. Stimmen der Freiheit“ am 5. Dezember 2012 im Hamburger Körber-Forum vor rund 400 geladenen Gästen über den Drogenkrieg, seine Verbindung nach Europa und die Folgen diskutieren. Darüber hinaus organisiert die Stiftung Kongresse und Informationsveranstaltungen zu Themen wie “Der arabische Frühling am Beispiel von Tunesien“, “Meinungsfreiheit in Usbekistan“, „Umweltverbrechen in El Salvador am Beispiel des Goldabbaus“ oder „Sri Lanka nach dem Bürgerkrieg“. Sie ermöglicht Fotoausstellungen und Lesungen, beteiligt sich an Filmvorführungen und Benefizkonzerten. Mehr und mehr werden die Medien auf die Arbeit der Stiftung und ihre interessanten Gäste aufmerksam. Interviews und Stellungnahmen, die Verleihung von Preisen an sie und sonstige Ehrungen müssen mitorganisiert werden.

Nach ihrem in der Regel einjährigen Aufenthalt in Hamburg kehren die Stipendiaten wieder in ihr Heimatland zurück. Der Kontakt bleibt auch nach ihrer Rückkehr bestehen: als länderübergreifende Kooperation, interkultureller Informationsaustausch und persönlich gewachsene Beziehung zwischen Menschen.

Die Gäste der Stiftung sind wichtige Streiter und Multiplikatoren für die Demokratisierung ihrer jeweiligen Heimatländer. Ihr Leben zu retten, sie zu stabilisieren, ihnen Raum, Zeit und Anerkennung für ihr politisches Engagement zu geben, ist erster Auftrag der Stiftung. Wenn sie sich hier wohlgefühlt haben, ihren Freiraum erprobt und vielleicht ein wichtiges Werk zu Ende gebracht haben, strahlt das in ihrem Land aus. Sie sind also auch „geheime Botschafter“ für unsere Stadt und unser Land.

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