Martina Bäurle
Philologin
Widerstand leisten, wenn der Tod dich anflüstert
Zeugnis von Ana Lilia Pérez, Stiftungsgast aus Mexiko
„An einem Tag im Juni verließ ich wider Willen das Haus. Ich ließ meine Familie, meine Heimat zurück. Mit einem Koffer und meinem Pass im Gepäck begab ich mich in eine Art vorläufiges Asyl. Mir blieb kaum Zeit, mich von ein paar Freunden zu verabschieden. David Cilia, Gefährte aus so vielen Schlachten, erreichte mich am Flughafen gerade noch in dem Augenblick, als ich an Bord des Transatlantikfluges ging. Durch den nächtlichen Verkehr von Mexiko-Stadt gehetzt, kam er angestürzt und mit pochendem Herzen drückte er mich in einer Weise an sich, wie es nur Genossen können, die dich in bittersten Momenten begleitet haben.
Zwei Jahre zuvor hatte mir David, der rebellischste und bockbeinigste unter meinen Freunden, eine Lektion fürs Leben erteilt, als ihm der Tod zuflüsterte. Was für ein Held, er, der Fotoreporter, der eine Kollegin der Friedenskarawane am 27. April 2010 mit seinem Körper schützte, als sie beim Einzug in das Dorf San Juan Copala in der Region der Triqui im Bundesstaat Oaxaca in den Hinterhalt von Paramilitärs gerieten.
Unter dem Kugelhagel von 31 Einschlägen, die ihr Auto durchsiebten, wurde der kräftige Körper des 30jährigen zur Zielscheibe von zwei Treffern. Die Kugeln, die an jenem Tag von Dutzenden von AK47-Sturmgewehren ausgespuckt wurden, drangen in sein rechtes Bein ein und durchschlugen ihn am Bauch. Schwer verletzt gelang es ihm, sich in der ihm unbekannten Gegend in einem Straßengraben zu verstecken.
In Kenntnis der unheilvollen Zeiten und Umstände, denen ich als Reporterin aus dem Weg gehen muss, versteht es David klar und deutlich, als ich ihm zum wiederholten Male sage, dass mein heimlicher Fortgang aus dem Land dringend und unaufschiebbar ist.
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Auszug (Okt. 2012)